Theater

„Wir kriegen euch alle!“                                                                    

Immersives Dokumentartheater und Musikperformance von WESSER | MECKERT (Diana Wesser und Juliane Meckert) in Zusammenarbeit mit dem Musiker Hans Narva (Gründungsmitglied der DDR-Band Herbst in Peking) und weiteren ehemaligen DDR-Punkmusikern

LOFFT – DAS THEATER, Leipzig, Premiere: 18.11.2022

„Wir kriegen euch alle!“ riefen Neonazis ihren Opfern hinterher. Es war auch der Titel eines 1991 erschienenen Albums der DDR-Punkband Feeling B. Die Performance „Wir kriegen euch alle!“ ist ein Stück über die letzten Tage der DDR und die chaotischen und gewaltvollen Jahre, die der Wiedervereinigung folgten; eine Zeit, die aktuell auch unter dem Hashtag #baseballschlägerjahre in Erinnerung gerufen wird. Es ist Zeit, über diese Jahre der blanken Anarchie und die Folgen zu sprechen, die diese für die Zivilgesellschaft und die Generation derjenigen hatte, die damals jung waren. Dazu gehört auch, das Gefühl der Ohnmacht, den Vertrauensverlust in die Staatsmacht und den Widerstand gegen die Rechten zu beschreiben. Dafür haben wir gemeinsam mit fünf früheren DDR-Punkmusikern von so namhaften Bands wie Die Firma, Ichfunktion, Herbst in Peking, L’Attentat, Wutanfall, The Inchtabokatables, Rosengarten und B.Crown eine Zeitzeugenband gegründet. In einer Mischung aus Punkkonzert, Recherchetheater und Performance spannen wir einen zeitlichen Bogen über die Schnittstellen politischer Identitäten, der von der NS-Zeit bis in die Gegenwart reicht.

 

  

 

Am 3. Oktober 1990 wurde die Wiedervereinigung feierlich besiegelt. Doch damit fängt die Geschichte erst an. Kaum jemand spricht heute über die chaotischen letzten Tage der DDR und das gewalttätige Jahrzehnt, das Ostdeutschland danach erlebte. Es sind die Jahre von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda und es war die Zeit, in der die Terrorzelle NSU entstand. In dieser gefährlichen Phase, in der Neonazis, die es auch schon in der DDR gab, die kulturelle und reale Hegemonie in weiten Landstrichen hatten, waren brutale Überfälle von Rechtsradikalen vielerorts ostdeutscher Alltag. Praktisch jede*r konnte jeden Tag zum Opfer rechter Gewalt werden, weil häufig der Schutz durch die Polizei fehlte. Eine Art rechtsfreier Raum entstand. Diese Anarchie ermöglichte den Neonazis freies Handeln. Sie begünstigte aber auch eine lebendige linke Subkultur, die jedoch aufgrund der gewaltbereiten, sich ständig mobilisierenden Rechten in ständiger Gefahr lebte.

 

 

 

Vor diesem Hintergrund bringen wir das Thema in einer musikalischen Inszenierung auf die Bühne. Texte, Szenen und Musik wurden in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit den beteiligten Musikern entwickelt. In einer nichtfrontalen Bühnensituation entsteht ein sich wandelnder, immersiver Raum, der die Trennung von Publikum und Darstellern aufhebt. Der Theatersaal wird zu: Eckkneipe, Kirche, Wohnzimmer, Plattenbau, Punkkonzert – es darf getanzt werden! Zwischen Livemusik, performativ-theatral inszenierten Szenen und partizipativen Spielformaten macht die Produktion Opfer und Widerstand sichtbar, eröffnet einen Raum, in dem zugehört wird und lädt dazu ein, gemeinsam auf die Suche nach Antworten und blinden Flecken zu gehen. Die fünf Musiker erobern sich den Raum und nehmen uns mit auf eine Reise. Das Besondere dieser Performance liegt auch in der Offenheit der Darsteller, die zum ersten mal auf einer Theaterbühne stehen und öffentlich von ihren Erfahrungen berichten. In der Auseinandersetzung mit der erlebten Gewalt, dem Chaos der Nachwendezeit und Themen wie der Radikalisierung im Osten, stellen sie sich ihrer eigenen Verletzlichkeit. In dem wir diesen Raum mit ihnen Teilen, bekommen wir einen berührenden Einblick in deutsches Zeitgeschehen und ostdeutsche männliche Biographien, die einerseits sehr divers sind, andererseits durch die Zeit und Generationenerfahrung extrem geprägt.

 

Die Gewalt und die Energie wird spürbar, auch die unendliche Freiheit, die Utopie und die zerplatzten Träume. Eingebettet in Videoprojektionen von historischen Filmaufnahmen und original Schauplätzen werden alle Anwesenden Teil des Zeitgeschehens, zu Kneipengästen, Konzertbesucher*innen und Zeug*innen. Die Lebensrealität im Osten wurde lange als Untersektion der deutschen Geschichte abgetan und nicht als gesamtdeutschwahrgenommen. Die Neunziger und Nullerjahre in Ostdeutschland sind im Allgemeinen und im Kontext Rechtsextremismus so gut wie nicht aufgearbeitet. Noch immer gibt es wenig öffentliche Diskussionen über die Ursachen und Auswirkungen. Ohne die Geschichten dieser chaotischen und auch brutalen Zeit ist auch das Erstarken rechter und neonazistischer Gruppen und der Erfolg der AfD nicht zu verstehen, denn diese Jahre ragen weit ins Heute. Das Projekt „Wir kriegen euch alle!“ ist ein Versuch, die Relevanz dieser Erfahrungen deutlich zu machen und eine Erinnerungslücke in der Geschichtsschreibung zu schließen. Über das Biografische machen wir die Relevanz der Thematik sichtbar und setzen gleichzeitig dem Bild des „Jammerossis“ eine kraft und lustvolle Erzählung gegenüber. Optional ergänzt wird die Bühnenarbeit durch eine Installation mit der Videodokumentation des Arbeitsprozesses, Stasiakten über die Verfolgung von Punks und Neonaziaktivitäten in der DDR und einem Fanzine, mit exklusivem Material und Hintergrundinformationen.

 

Eine Produktion von WESSER | MECKERT in Koproduktion mit LOFFT – DAS THEATER (Leipzig), Premiere: 18.11.2022

Konzept, Regie, Text, Sound: Juliane Meckert und Diana Wesser, Musikalische Leitung: Hans Narva, Zeitzeugenband/Performer: Torsten „Pegman“ Füchsel (Rosengarten & B.Crown), Titus Jany (Herbst in Peking & The Inchtebokatables), Hans Narva (Herbst in Peking & The Inchtebokatables), Key Pankonin (Die Firma & Ichfunktion) und Bernd Stracke (L`Attentat & Wutanfall), Bühne: Friedrich Hartung und Hannes Burgmayer, Kostüm: Muriel Kunkel und Carlotta Huck, Video: Thilo Neubacher und Konrad Behr, Beratung: Anna Stiede, Produktionsleitung: Gina Zimmermann, Regie- und Produktionsassistenz: Anika Fey, Öffentlichkeitsarbeit: Claudia Laßlop, Dank an Ingo Hasselbach, M. Kruppe, Christian Bangel, Aram Radomski, Makarios (die Art), HenningRabe (Iron Henning), Jana Schlosser (Namenlos), und alle, die ihre Geschichten mit uns geteilt haben.

   

Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR und der Kulturstiftung des Freistaat Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtagbeschlossenen Haushalts. Gefördert durch das Kulturamt der Stadt Leipzig und die Amadeu Antonio Stiftung. Mit freundlicher Unterstützung der Gedenkstätte Bautzen, des Hanse 3 e.V., Schützenhaus Wehlen und der EJBW Weimar.

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